10. Dezember 2013

Die Nutzungsaspekte des Systemdesigns


Dass Organisationen nicht stillstehen, sondern sich entwickeln, mit ihrer ganz eigenen Dynamik, ist eine Binsenweisheit. Dass diese Dynamik von Konflikten vorangetrieben wird, und dass sich dabei ein für jede Entwicklungsphase spezifischer Appetit auf bestimmte Formen der Konfliktbehandlung ergibt, ist auch nicht mehr ganz neu. Das Systemdesign muss diese Entwicklungsdynamik berücksichtigen und in geeigneter Weise unterstützen – sie soll ohne Katastrophe vonstattengehen.
Das Systemdesign, wiewohl in den heutigen Verhältnissen verankert, muss die Organisation bei der Überwindung ihrer gegenwärtigen Verhältnisse unterstützen. Dabei geht es nicht darum, eine bestimmte Form zu finden, sondern es geht darum, wie Formen gefunden werden.

Im Verlauf des gesamten Systemdesign-Projekts treten möglicherweise unterschiedliche Nutzungsaspekte in den Vordergrund, denn sie  hängen eng miteinander zusammen. Schauen wir jeden einzelnen Aspekt daraufhin an, in welcher Form er auftaucht und in welcher Weise er sich wandelt. 


Stellen-Besetzung

Irgendwann läuft jeder unbearbeitete Konflikt darauf hinaus, dass der Verbleib eines oder mehrerer der Beteiligten in der Organisation in Frage gestellt wird. Organisationen, in denen dies zum Antreiber für das Systemdesign wird, benötigen eine umfangreiche Diagnose-Phase, damit geklärt werden kann, welcher andere Aspekt allzu weit aus dem Blick gerutscht ist. Mit dem Problem der Stellenbesetzung als Thema fürs Systemdesign kann man zwar auch arbeiten – wir haben dies schon früh getan mit der Einführung von fundierten Austritts-Gesprächen (also einem genauen Feedback der scheidenden MitarbeiterIn über die Sicht der Organisation) und mit Verbesserungen in der Handhabung von Trennungen. Insgesamt aber wird man früher oder später auf andere Aspekte stoßen, die dann im Systemdesign zielführend werden können. 


Projektarbeit

Dieser Begriff erfasst vieles, das in der Nähe zu den Kunden geschieht. Wenn es Konflikte gibt – sei es innerhalb des eigenen Teams, sei es mit dem Kunden – sind die Folgekosten oft astronomisch hoch. Wie groß, beispielsweise,  ist der Schaden für eine Werbeagentur, wenn sie die Marke mit dem größten Renommée verliert? Zugleich wird dieser Nutzungsaspekt von den Anlaufstellen für Konflikte am wenigsten versorgt. In Publikationen heißt es, dass Projektmanagement immer auch Konfliktmanagement sei; spricht von der Führungskraft resp. dem Projektleiter als Konflikt-Manager.
Wenn Konflikte in der Projektarbeit zu massiven Folgekosten führen, und wenn dabei künftige Ertragsmöglichkeiten vertan werden, dann wird schnell die Kompetenz der verantwortlichen Führungskräfte in Frage gestellt. Die Anforderung, dass Führungskräfte fachlich kompetent und kompetent für die Führung (das heißt auch: für den Umgang mit der Reibung im Projekt) sein müssen, macht oft im Konfliktfall die Verhältnisse extrem eng: Es gibt keine Ausflucht, und es gibt keine Hilfe. Wenn das so ist, dann bleibt nicht nur für die Konfliktbeteiligten, sondern vor allem für ihre Führungskraft nur noch, mit dem Finger auf mutmaßlich Schuldige zu zeigen. Konfliktmanagement ist Führungsaufgabe, ja, aber im weiteren Sinn muss Konfliktmanagement auch erlauben, Führungskräfte von einem Teil dieser Aufgabe zu entlasten. Systemdesign heißt auch: Auseinandersetzung darüber, wie Führungsaufgaben definiert werden.


Unternehmens-Organisation bildet den Entwicklungsstand des Unternehmens in Strukturen ab. Das ist eng verbunden mit Veränderungen der Kultur. In den Krisenphasen jeder noch so gesunden Entwicklungsdynamik von Unternehmen gibt es Konflikte, die bedeutsam sind für die Zukunft. Neben der sozusagen naturgegebenen Entwicklungsdynamik jeder Organisation beschäftigen uns die intentional veranlassten Change Prozesse des Unternehmens. In diesem Zusammenhang werden wir immer wieder angefragt, präventiv ein System des Konfliktmanagements aufzubauen. In einem umfassenden Systemdesign muss das mit aufgehen – und manchmal steht es gar in seinem Vordergrund, nämlich dann, wenn die Organisation vor umfassenden Veränderungen steht, und die Leitung die damit unausweichlich verbundenen Konflikte proaktiv angehen möchte.  Systemdesign muss einen Beitrag dazu leisten, dass die den Konflikten innewohnende Triebkraft genutzt wird für die Gestaltung der Organisation, und dass dies ein fortwährender Prozess wird.


Beschwerden
Fast jeder Konflikt könnte in eine Beschwerde münden. Wenn es aber von vornherein um Beschwerden geht (jemand beschwert sich bei einem anderen darüber, was ein Dritter getan oder gelassen hat), dann liegt es (allzu) nahe, für diese Beschwerden einen festen Weg und Gefäße einzurichten, vor allem dann, wenn die Beschwerden von Außenstehenden ins Unternehmen adressiert werden. Der Umgang damit kennt drei verschiedene Orientierungen:
 

Alle drei Punkte spielen stets eine Rolle. Entscheidend ist, wie dabei gewichtet wird. Beschwerdemanagement und internes Konfliktmanagement weisen zwingende Parallelen in ihrer Logik auf. Es geht stets (nämlich bei jedem Konflikt) darum, dass Veränderungen in Gang gebracht werden sollen. Wie mit dieser Tatsache umgegangen wird, ist weitgehend eine Frage der Haltung, also der Unternehmenskultur, und sie wird zum gemeinsamen Nenner bei Konflikten mit internen und mit externen Beteiligten.
Gelegentlich führt der Weg von der Auseinandersetzung mit dem Management von Beschwerden externer Kunden hin zu einem anderen Umgang mit internen Konflikten. Wichtig ist, dass der Berater die Gemeinsamkeit klar machen kann. Die Mechanismen zur Bearbeitung von internen Konflikten und von Konflikten, die von Außen hereingetragen werden, sollten sich nicht prinzipiell unterscheiden. 


Gesundheit

Immer mehr Betriebe erkennen, dass von der Art, wie ihre Beschäftigten arbeiten, die Gesundheit des Einzelnen und letztlich die Gesundheit des Unternehmens abhängt. So werden einerseits die Beratungsangebote der Arbeitsschutz-Organisationen (zum Beispiel der Berufsgenossenschaften) immer umfangreicher und gehen weit über die hergebrachten Fragen der Unfallverhütung hinaus. Betriebliches Gesundheitsmanagement mit Programmen, die nicht bei Rückenschule und Obstkorb stehenbleiben, soll die Leistungsfähigkeit der Belegschaft sichern. Bislang wird eher als Randphänomen vermerkt, dass Burnout und andere Schäden massive Konflikte (spätestens mit den Rückkehrern nach langer Krankheit) provozieren, und dass andererseits Konflikte, die als nicht lösbar erscheinen, den Kollaps der Arbeitsfähigkeit beschleunigen.
Für mehrere der im Unternehmen bereits etablierten Anlaufstellen für Konflikte erscheint die Thematik auf den ersten Blick vertraut. Beim Systemdesign aber wird deutlich, dass noch viel unternommen werden muss, damit gesundheitsfördernde Einzelmaßnahmen in das Netz des präventiven und kurativen Konfliktmanagements aufgenommen werden können. Man wird das Thema nicht isoliert angehen können. Die Beziehung von Burnout und Konflikten ist einerseits evident, andererseits aber weitgehend unerforscht. Systemdesign hat immer auch einen gewissen Anteil Handlungsforschung. Das heißt: Wir Berater haben den Vorsprung von Konzeption und Erfahrung  - doch entwerfen und evaluieren wir gemeinsam mit unseren Kunden, und bauen in unseren künftigen Projekten darauf weiter auf. 


Eine ungekürzte Version dieses Textes finden Sie in Spektrum der Mediation,
Ausgabe 50/2013, einer Zeitschrift, die wir Ihnen empfehlen.


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