20. Dezember 2013

Systemintelligenz organisieren - Prozesslinien-Kompass als Steuerungsinstrument in der Organisationsmediation


von Bernd Fechler

Konflikte in und zwischen Organisationen haben oft viele Beteiligte: direkt und indirekt Betroffene, Voll- und Teilverantwortliche, offizielle und heimliche Mitwisser sowie solche, die angeblich nichts davon wissen sollen. Solche Konstellationen brauchen entsprechend differenzierte Konfliktbearbeitungsdesigns. Zur Planung und Steuerung komplexer Mediationsarchitekturen setzen wir den Prozesslinien-Kompass ein.
Je komplexer und langwieriger der Fall, desto wichtiger ist es, dass die Beteiligten wirklich verstehen, was wir als Mediatoren tun. Von Beginn an führen wir deshalb Modelle ein, die unseren Auftraggebern und Medianden genauer erklären, wie Organisationsmediation funktioniert, was unser Job als Mediator ist – und wo wir ihre Unterstützung brauchen. Ein zentrales Tool ist dabei das von Kerntke (2004) entwickelte Prozesslinienmodell der Organisationsmediation.
Es unterscheidet vier unterschiedliche Formen der Beteiligung an der Konfliktlösung, die mit vier unterschiedlichen Graden der Betroffenheit vom Konflikt korrespondieren:


1. Im Kern des Modelles stehen die Konfliktparteien – Verhandler und ihre Peers. Die Verhandler werden von ihren Peers als Gruppen-sprecher gewählt (mandatiert) und sind in die Mediationsgespräche eingebunden.


2. Zu den Peers zählen alle, die direkt in den Konflikt involviert sind, jedoch gegenwärtig keine aktive Rolle in den Mediationsgesprächen einnehmen können oder wollen. Natürlich sind sie daran interessiert, dass ihre Anliegen angemessen vertreten werden und dass sie über alles informiert werden und mitentscheiden können, was den Fortlauf der Mediation betrifft. So kommt es auch innerhalb einer Peergruppe zu Meinungsverschiedenheiten, die unter Umständen mediiert werden müssen.

3.
Stakeholder rechnen sich nicht zu den Konfliktparteien, sind jedoch von den Auswirkungen des Konflikts betroffen und haben ein entsprechendes Interesse am Lösungsgeschehen. Zu den internen Stakeholdern gehören Kollegen, kooperierende Einheiten sowie die uns beauftragende Führungskräfte. Stakeholder halten oftmals wichtige Schlüssel zur Konfliktlösung in der Hand.

4.
Die Zahl der Zaungäste ist theoretisch unbegrenzt. Als interessierte bzw. möglicherweise noch zu interessierende Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb einer Organisation bilden sie den „sozialen Resonanzraum“ der Konfliktbearbeitung und beeinflussen damit positiv wie negativ das Handeln der Beteiligten.

Die Grenzen zwischen diesen vier Rollen sind durchlässig. Ähnlich, wie sich durch eine Konflikteskalation der Kreis der Betroffenen und Mitwirkenden erweitert („Ausweitung der Konfliktarena“, Glasl 1996), kann das Personal, mit dem wir arbeiten, wechseln, schrumpfen, sich erweitern. Das Konfliklösungssystem „atmet“.

Die Fragen, die wir stellen, sind immer wieder ähnlich:

Einbindung (Beteiligung):
Wer ist in welcher Weise im Konflikt involviert und sollte in die Gespräche eingebunden werden? Wessen Perspektive bzw. Anliegen sollten noch berücksichtigt werden, damit das Problem gut beschrieben/verstanden wird – und damit die möglichen Lösungen auch von allen mitgetragen werden? Welcher Rahmensetzungen von oben (Ressourcenbereitstellung, Anweisungen, Sicherheitsgarantien, etc.) bedarf es, damit sich alle auf die Mediation einlassen können?

Rückbindung (Informationsmanegement):
Wer sollte wann über was informiert werden?Von wem brauchen die Verhandler ein Feedback, die Zustimmung oder eine andere Form der Unterstützung?

Gegen Ende der Mediation:

Wer sollte noch über das Ergebnis der Mediation bzw. Teile davon informiert werden? Wessen Zustimmung bzw. Mithilfe brauchen Sie, um das Vereinbarte umzusetzen?

Es geht um die Herstellung geeigneter Kommunikationssettings und um die Klärung der dafür notwendigen Rahmenbedingungen und Verantwortlichkeiten.
Die Transparenz über unsere Prozesslogik und Arbeitsweise  macht unser Handeln für die Kunden berechenbar und steigert ihre Motivation zur Mitarbeit. Die Betroffenen werden zu Mitgestaltern der Lösungskommunikation. Unsere Kunden bringen ihr Wissen über strukturelle und informelle Kommunikationswege ein, ohne deren Kenntnis wir „an der Sache vorbei“ mediieren würden.  Darüber hinaus dient der Kompass als Argumentationshilfe im Gespräch mit den Auftraggebern. Sie verstehen besser, was und wen wir wozu brauchen. Das erhöht die Chance, die erforderlichen Ressourcen (Zeit, Personal, Rückhalt) zur Verfügung gestellt zu bekommen, weil zur Lösung komplexer Konflikte ein abgestuftes System von Verantwortung und Zusammenarbeit unabdingbar ist.

Eine ungekürzte Version des Artikels finden Sie in:
Peter Knapp (Hrsg.): Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen, managerSeminare Verlags GmbH 2012.

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