von Wilfried Kerntke
Die Beschleunigung des Sozialen Wandels bringt in immer kürzerer Folge Brüche, Erdrutsche, Bergstürze im Gefüge von Organisationen mit sich. Reorganisation lässt Gewinner und Verlierer zurück. Den Übergang von deren altem in ihr neues Verhältnis bezeichnet man als Konflikt. Ganze Berufsgruppen werden innerhalb des Unternehmens aufgewertet, andere abgewertet. Den Angehörigen wieder anderer Berufe wird die Zugehörigkeit zum Unternehmen entzogen, durch outsourcing.
Zwei
Folgen sind in unserem Zusammenhang wichtig:
Erstens
ist die Folge eine starke Verschiebung
im Aufbau der unternehmensinternen Verantwortung. Wer darf was, wer ist für
welche Gestaltungsfragen zuständig? Wer kann welche Entscheidungen treffen? Konflikte
in der Organisation werfen diese Fragen immer wieder neu auf. Eine
Organisation, ein Unternehmen, lässt sich auch darstellen als ein Gefüge
abgestufter Entscheidungsbefugnisse. Das verdeutlicht, weshalb große
Veränderungen in dieser Hinsicht eine starke Wirkung haben. Ein Großteil der
organisationsinternen Konflikte hat zum Thema, wer in welcher Weise seine
Verantwortung wahrnimmt. Während die Fristen für Entscheidungen kürzer werden,
sind deren Folgen oft von zunehmender Reichweite. Das verschärft zwangsläufig
die Auseinandersetzung darüber, ob Verantwortung in der richtigen Weise
wahrgenommen wird. In manchen der Konflikte wird sich die Spannung ausdrücken
zwischen dem Grundbewusstsein der Beteiligten von richtigem Handeln, und ihrem
entfremdeten Alltagshandeln. Wir wissen,
dass wir dabei sind, die Erde zugrunde zu richten, und machen doch weiter wie
bisher – ein augenzwinkerndes Kokettieren mit dieser Erkenntnis wird in den
Unternehmen kein breites Einverständnis mehr finden, sondern es wird
weitreichende Konflikte auslösen.
Zweitens
greifen Reorganisationen und Outsourcing dramatisch ins Anerkennungs-Gefüge der
Organisation ein. Adam Smith, der schottische Nationalökonom der Aufklärung, hatte
1776 konstatiert, dass jede Erwerbstätigkeit letztlich dazu dient,
gesellschaftliche Anerkennung zu erwerben. Dieses Thema beschäftigt uns heute
mehr denn je, untermauert mit Schriften von Axel Honneth (ab 1990). Wer gilt
wieviel, und wessen Themen haben welchen Wert in der Organisation – solche
Fragen führen stets in umkämpftes Terrain.
Im
Begriff der Verantwortung lebt vor allem der organisationale Aspekt, während
die Anerkennung als Begriff mit der Befindlichkeit der Beteiligten beladen
scheint, dadurch auf das Private verweist und als nicht behandlungswürdig erscheinen mag. Es ist aber die Suche nach
Anerkennung, verbunden mit der Beschleunigung des sozialen Wandels, zu dem machtvollsten Antreiber des
Wirtschaftsgeschehens geworden. Die darin eingeschriebene Kurzfristigkeit des
Denkens und Handelns lässt die Beteiligten oft als hektisch und rabiat
erscheinen. Friedrich Glasl fragt 2005, ob das Zukunftsdenken der Unternehmen
der Vergangenheit angehört. Die (oft richtige) Annahme, schon morgen nicht mehr
zeigen zu können, wie erfolgreich er ist, bewegt einen Manager dazu, seinen
Horizont auf die nächsten Monate einzuengen, statt auf Jahrzehnte. Die Qualität
der Zusammenarbeit wird dann dem tagesaktuellen Versuch geopfert, sich
durchzusetzen.
In
der Arbeitswelt von morgen wird der beschleunigte Wandel durch die Kombination
aus Brüchen im Gefüge der Verantwortung wie im Gefüge der Anerkennung immer
häufiger zu kritischen Konflikten führen. Bernd Fechler stellt in einem ersten
Wurf (in: Systemisches Konfliktmanagement, erscheint Juli 2014) dar, welche
Konflikte durch Reorganisationen hervorgerufen werden – und wie dieser
Gesichtspunkt bei der Gestaltung von Change Prozessen von vornherein mitgedacht
werden sollte.
Konflikte
bieten die Hoffnung auf eine Veränderung, die gebraucht wird. Organisationen
und die dort Verantwortlichen werden noch weit mehr als bisher lernen müssen,
Konflikte als potenziell wichtige Indikatoren für dringenden Veränderungsbedarf
zu sehen.
Im
nächsten Beitrag, am 30.5., geht es darum:
Welche Zukunftsanforderungen entstehen für
Mediation?
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