10. Oktober 2013

Working and Playing with inmedio

Ein Entwicklungstag mit Lois Holzman am 03. 10. 2013

von Wilfried Kerntke

Eine Psychologie des Werdens (a psychology of becoming) –  das ist die Übersetzung von Lois Holzman für die Entwicklungspsychologie von Lev Vygotsky (1896-1934). In unseren Breiten heute kaum noch bekannt, hat dieser russische Vordenker des Praktischen für den postmodernen Kontext heutiger Gesellschaft und Wirtschaft einiges zu bieten. Und Lois Holzman ist eine seiner spannendsten Protagonisten. Wir hatten die Gründerin und Leiterin des New Yorker East Side Institute nach Frankfurt eingeladen, um Impulse aus ihrer Arbeit mit unserer Praxis der Mediation und Konfliktberatung in einen Dialog zu bringen. In kleinem Kreis – inmedio frankfurt and friends, was einige unserer Kunden mit einschließt –  haben wir einen Tag lang gearbeitet und gespielt. Ich will knapp wiedergeben, was wir dabei erfahren und erlebt haben.

Wir haben am 3. Oktober mit dem zentralen Gedanken experimentiert, dass unsere Vorstellung davon, wie Menschen sich entwickeln, wichtig ist für unsere beraterischen Möglichkeiten. Als Mediatoren, als OE-Berater und als Coaches engagiert man uns, damit wir Veränderung in Gang bringen. Stets geht es um die Veränderung der Interaktionsmöglichkeiten und Interaktionsweisen von Menschen. Hoffnungen – bis hin zu der Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft – entstehen durch das Wissen um die Fähigkeit von Menschen, sich in ihren Wechselbeziehungen weiterzuentwickeln. Dazu gehört das Lernen. Lernen und Entwicklung sind untrennbar verflochten – beides ist die Quelle und das Produkt des jeweils anderen, und zwar lebenslang, nicht nur in Kindheit und Jugend.
Das Kleinkind lernt sprechen und entwickelt sich zu einem sprechenden Menschen, indem es die Sprache der Erwachsenen kreativ imitiert („bah-belah-belabel“) und indem die Erwachsenen so tun, als sei dies bereits verständlich („Du möchtest deine Flasche?“). Das Kind handelt, wie es noch gar nicht handeln kann (als Sprechendes), und seine Umgebung akzeptiert, dass es schon jetzt ist, was es noch nicht ist (sprechend) – anstatt zu sagen: „Lass das, halt‘ den Mund, solange du noch nicht richtig sprechen kannst“. Mutter und Kind schaffen durch ihr Zusammenspiel die Zone noch bevorstehender Entwicklung (zone of proximal development – ZPD), in der das Kind bereits sein kann, was es noch nicht ist.
Eng mit der ZPD verbunden ist, dass wir „so tun als ob“ – dass wir vorspielen, was wir noch nicht sind. Das Kind spielt in fast allen seinen Spielen „einen Kopf größer“ als es ist.
In der kleinen Gruppe am 3.10. haben wir viel mit Übungen aus dem Improvisationstheater experimentiert. Wir haben dabei erlebt, dass Spielen, spielerischer Umgang, neue Möglichkeiten des sozialen Miteinanders schafft. Das hat unsere anschließenden gemeinsamen Reflexionen beflügelt.

Welche Räume schaffen Mediation und OE mit den Beteiligten, so dass diese „einen Kopf größer“ spielen können, als sie bislang waren und sind? Wie kann Organisationsmediation und später auch Systemdesign, Entwicklungsräume öffnen, Zonen der bevorstehenden Entwicklung? Und in welcher Weise wird dafür die Mithilfe des Unternehmens benötigt?
Wir gehen diesen und auch ganz neuen Fragen beim nächsten Besuch von Lois Holzman nach, im Frühsommer 2014. Dann laden wir wiederum Kunden und Freunde des Instituts ein.

Zur weiteren Lektüre bieten wir eine Präsentation und einen Fachtext von Lois Holzman. 

Weitere Texte, und auch Videos, finden Sie auf den beiden Websites www.loisholzman.org und www.eastsideinstitute.org


2 Kommentare:

  1. Christa Mittwollen, Feldenkrais-Practitioner10. Oktober 2013 um 09:26

    Ja, das habe ich seinerzeit bei Vigotzky gelesen.

    In der Verarbeitung stört mich die Motivation. Das Kind imitiert, ja. Und ich glaube, wir alle kennen beide Situationen des Imitierens. Einmal das Imitieren, weil das, was wir sehen, ohne das wir es verstehen, interessant erscheint und unsere Möglichkeiten Ansätze bilden, dies nach zu tun. Zielfrei. Das macht Spass, weil wir mit dem Imitieren beschäftigt sind und tatsächlich in allen Richtungen ausprobieren.

    Und dann ist da noch das Nachmachen mit dem Ziel, es so zu schaffen, wie unser Beispiel, das wir nachmachen wollen. Eine andere Motivation. Hier kann es oft zu Stress und Misserfolg kommen, weil wir weniger mit unseren Möglichkeiten als mit dem Ziel beschäftigt sind.

    Bei den meisten Kindern spielt sich das Imitieren im Bereich des ersten Beispiels ab.

    Wenn wir Erwachsene lernen wollen, ist es für uns sehr schwer, in diesen Zustand des Spielens zu kommen. Das zeigt auch die Wortwahl in vielen Auslegungen. Wir tun es, weil wir irgendwann ein Sprechender sein wollen. Und damit ist das Ziel da. Und nicht mehr das Interessante der Sprache, mit dem wir hemmungslos herumexperimentieren können. Diese innere Zielvorgabe hindert uns am Spielen.

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  2. Durch deinen Kommentar ist mir klar geworden, dass wir in der Mediation genau mit dem Unterschied zwischen diesen beiden Motivationen zu kämpfen haben.
    Als Berater für Organisationsentwicklung fällt es mir leicht, in Workshops - auch zu ernsten Themen - die Spielfreude der Teilnehmer zu wecken, meist mit metaphorischen Methoden. Da entsteht dann auch wirklich durch das Zusammenwirken der Beteiligten etwas Neues und oft Schönes.
    In der Mediation aber, wo Konflikt und Einigung das Thema ist, arbeiten wir stärker mit Anreizen zum zielgerichteten Nachahmen. Das kann und darf dann anstrengend sein. Nur: Geht es nicht auch anders? Für Lernen-und-Entwicklung im Sinne von Vygotsky ist das nicht der richtige Weg, und wir müssten auch hier auf eine spielerische Ebene kommen. Das hört sich beim Thema Konflikt erstmal schwierig an, aber durch die Parallele zu meiner Arbeit als Organisationsentwickler kann ich mir vorstellen, dass es prinzipiell möglich ist. Und vielleicht können wir uns dafür noch Anregungen bei Feldenkrais holen.

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