20. November 2013

Systemdesign: vorhandene Konflikt-Anlaufstellen stärken

von Wilfried Kerntke

In jedem Unternehmen gibt es Vorkehrungen zum guten Umgang mit Konflikten. In der Regel gibt es mehrere – oft institutionalisierte – Konflikt-Anlaufstellen. Das reicht vom Betriebsarzt über den Personalreferenten  bis zum Betriebsrat, und von der Ombudsstelle über die Sozialberatung bis zur Rechtsabteilung. Erstaunlicherweise sind diese Stellen in der Regel nicht koordiniert, sondern üben zumindest heimlich Konkurrenz, denn eine Beratungsstelle, die von niemandem aufgesucht wird, verliert ihre Existenzberechtigung.
In Bezug auf ihre Nutzungs-Aspekte mag die Arbeit der Konflikt-Anlaufstellen zunächst unterkomplex erscheinen; sie greift oft nicht durch bis in die Schicht, die sie ändern soll. Sie leistet oft wirklich viel für die Individuen und damit implizit auch für das Unternehmen. Sie wirkt jedoch, trotz des Engagements ihrer Fachkräfte, wie eine Randerscheinung. Das liegt meist an der willkürlichen und durchaus nicht funktionalen „Privatisierung“ jedes Konfliktgeschehens in Unternehmen, welche das Handeln der Beteiligten als Ausfluss individualpsychologischer Störfaktoren erscheinen lässt. Dem widersprechen wir.
Konfliktanlaufstellen, also Beratungsstellen des Unternehmens, müssen zumindest im Grundsatz in der Lage sein, die oben genannten Problemlagen, von denen Alarmsignale ausgehen, zu formulieren und den Betroffenen eine sinnvolle Erstversorgung zu bieten.
Wir arbeiten deshalb prinzipiell mit einem zweistufigen Aufbau des Systemdesigns: Erst das Vorhandene sortieren und optimieren, und dann, sofern notwendig, Neues dazu bauen.
In der ersten Phase unterstützen wir die diversen Konflikt-Anlaufstellen dabei, einen gemeinsamen Grundstandard der Konfliktbehandlung zu erarbeiten. Worauf hat jeder, der sich ratsuchend an sie wendet, Anspruch? Welche Leistungen, welche Art der Zuwendung, wird jedem zuteil, egal an welche Stelle  er sich wendet?
Damit arbeiten wir am Selbstverständnis und zugleich an der Verständigung der Anlaufstellen. Dabei steht bereits der Nutzungsaspekt im Vordergrund. Das heißt freilich nicht, dass andere Aspekte vernachlässigt werden dürfen. Die Integrität innerbetrieblicher Institutionen, die für die Unterstützung der Beschäftigten antreten, darf nicht korrumpiert werden. Jedoch muss die Frage erlaubt sein: Wie unterstützen Sie das Unternehmen bei seinem dringendsten Bedarf? Wir aktivieren die bereits angelegten Kräfte und optimieren ihr Zusammenspiel. Das ist jedoch nur möglich, wenn der Auftrag dazu von der Unternehmensspitze erfolgt. Die einzelnen Beratungsstellen arbeiten ja bereits seit Jahren engagiert und fachkundig, und sie haben dabei Kenntnisse über die Dynamiken im Unternehmen gewonnen, die von keinem anderen Platz aus hätten gewonnen werden können. Was ihnen fehlt, ist nicht etwa eine Ermunterung zu „besserem“ Arbeiten, sondern die Erlaubnis und die Verpflichtung, sich auf übergeordnete Ziele zu verständigen.
Auch wenn der Arbeitsumfang für diese Phase deutlich kleiner ist als für die zweite Phase – es braucht einen soliden Auftrag, sonst kann nichts Neues dabei entstehen.
Bei der Evaluation nach dieser Phase interessiert uns vor allem die Veränderungs-Dynamik. Bei wem ist Bewegung in Gang gekommen und in welche Richtung? Welche Ressourcen sind neu aufgetaucht, welche sind verschwunden? Wie hat sich der Blick auf das Anfangsproblem verändert?
An dieser Stelle muss es auch möglich sein, das Projekt abzuschließen oder eine längere Pause einzulegen. Die erste Phase ist „selbsttragend“ konzipiert. Sie erlaubt den Einstieg ins Systemdesign auch mit bescheidenen Ressourcen. 

 Eine ungekürzte Version dieses Textes finden Sie in Spektrum der Mediation,
Ausgabe 50/2013, einer Zeitschrift, die wir Ihnen empfehlen.

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