10. Februar 2014

Burnout-sensible Mediation in der Praxis

von Bernd Fechler

In unserer Mediationspraxis mehren sich Fälle, in denen „Workload“ bzw. der Umgang mit der zunehmenden Arbeitsverdichtung und den daraus resultierenden Gesundheitsbelastungen zum Thema wird.  Nicht nur in den Medien ist Burnout und die dramatisch steigenden Zahlen Stress bedingter, seelischer Erkrankungen Dauerthema. Auch die Unternehmen, Behörden und soziale Einrichtungen haben das Problem als systemrelevant erkannt. Die Maßnahmen reichen von individueller Stressbewältigung, über Kurse zu „gesunder Führung“ bis hin zur Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM).
All das klingt gut – doch wirken viele Maßnahmen noch wie aufgesetzt. Auch die Organisationen, in denen wir arbeiteten, „hatten“ bereits ein BGM. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Geist gesundheitssensibler Angebote und der rauen Wirklichkeit in der Arbeitswelt.
Was aber tun, wenn trotz eines propagierten BGM dennoch nicht alles rund läuft? Wenn trotz guten Willens zu einem wertschätzenden Führungsstil die Kraft oder die Skills nicht ausreichen, um den Widrigkeiten des Betriebsalltags erfolgreich zu trotzen? Und welchen Part können Mediatoren und mediative OE-Berater übernehmen, um diese Kluft zwischen Programm und Wirklichkeit zu überbrücken?
Die Erfahrung zeigt: In solchen Fällen braucht es unabhängige, allparteiliche Berater und Vermittler, die den Beteiligten Wege aufzeigen, aus ihren Sackgassen heraus zu kommen. Ähnlich ihrer Aufgabe, Konflikte besprechbar zu machen, können Mediatoren die Betroffenen darin unterstützen, die Probleme, deren Lösung durch Tabus im Umgang mit Leistungsabfall, Burnout und seelischen Erkrankungen blockiert werden, besprechbar zu machen.
In der Regel ist der Anlass für unser Wirken nicht „Burnout“, sondern nach wie vor „Konflikt“. Das ist völlig in Ordnung so. Dennoch gibt es einen Bedarf für Burnout-sensible Konfliktberatung, die bei der Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements gute Dienste leistet. Mit solchen Angeboten machen wir bei inmedio ermutigende Erfahrungen.

Drei Beispiele aus unserer Praxis:

Es ist Sommer, zwei leitende Entwicklungsingenieure eines von seiner fulminanten Auftragslage getriebenen Autozulieferers haben sich in der Wolle. A ist hochgradig abhängig von der Zuarbeit von B, rastet immer öfter aus – gerade auch vor B’s Mannschaft – weil „nichts rechtzeitig beikommt“. Für ihren gemeinsamen Vorgesetzten wird es immer schwieriger, A wegen seiner cholerischen Anfälle im Unternehmen zu halten. In der Mediation offenbaren sich bei B Abgründe von Überarbeitung, unendliche Listen unerledigter To-Dos, die er jedoch stoisch als „normal“ und „ich hab‘s im Griff“ verteidigt. Was A völlig aus der Fassung bringt, ist B’s Äußerung: „Wer bei mir einen Termin haben möchte, kann gerne im Dezember wiederkommen.“

Klausur des ReferentInnen-Teams eines Bildungsträgers, Tagesthema „Umgang mit der Workload“. Eine Kollegin steht wegen ihres „unsolidarischen Verhaltens“ unter Beschuss. Der Grund: ihr konsequentes Pausenregime und Festhalten am Zuschnitt ihres Verantwortungsbereichs, was die anderen als „Rosinenpicken“ kritisieren. Die Auseinandersetzung eskaliert. Nachdem sie einen Mobbing-Vorwurf in die Runde gesetzt hat, verlässt die Kollegin die Klausur und meldet sich für mehrere Wochen krank.

In einer städtischen Behörde herrscht Notstand. Die Amtsleiterin und ihre Abteilungsleiter bestellen sich eine Burnout- und Konfliktberatung. Neben der eigenen, extremen Arbeitsbelastung haben sie ein akutes Problem: Eine mit der Diagnose Burnout aus dem Leitungsteam gefallene Kollegin drängt –
nach halbjähriger Krankschreibung und ausgedehntem Klinikaufenthalt – wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Man ist sich einig, dass das noch zu früh sei. Die Kollegin scheint jedoch uneinsichtig. Unterstützt durch eine positive Stellungnahme der Amtsärztin pocht sie auf Regeleinhaltung und fordert ein „sofortiges Zurück“ an ihren angestammten Wirkungsbereich.

In allen drei Fällen war Mediation das Mittel der Wahl:

Fall 1: „Ich hab‘s im Griff“
Der „gute“ weil stille Kollege des „bösen“ Cholerikers leugnet seine strukturelle Überforderung – aus Angst, als „Underperformer“ dazustehen. Ein klassischer Fall von Erschöpfungsmanagement. Dieses gelingt ihm so gut, dass die negativen Folgen seiner Erschöpfung – Aufschieberitis, „leck mich-
Haltung“, Blockierung von Lösungskommunikation – so lange Nebensache bleiben, wie sein zum Ausrasten neigender Kollege sich selbst ins schlechte Licht rückt.
Der Lösungsansatz:
In der Mediation ging es darum, dem Ingenieur einen Weg zu ebnen, seine innere Not ohne Gesichtsverlust mitzuteilen. Ermutigt durch ein „Burnout-normalisierendes“ Konflikt-Coaching rang er sich zu einem Bekenntnis seiner Not durch, die auch für seinen Kollegen die Wende brachte: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr – ihr könnt mich mal!“ Die Schwelle zu einer Erarbeitung praktischer Lösungen (Klärung von Zuständigkeiten, Informationsfluss, Auszeiten etc.) war überwunden.

Fall 2: „Rosinenpicken“
Wer Stressreduzierung ernst nimmt, erntet nicht immer Beifall bei seinen Kollegen. Selbst wenn der „Output“ stimmt – wenn Pausen machen, Schwätzchen halten, Grenzen setzen nicht den Standards der Teamkultur entspricht, läuft man Gefahr, zur Zielscheibe sublimer und offener Anfeindungen zu werden.
Der Lösungsansatz:
In einer weiteren Teamklausur arbeiteten wir an den impliziten Grundannahmen und Regeln rund um das Thema Belastungsgerechtigkeit. Eine grafische Rückmeldung (Abb.) brachte vielen den Aha-Effekt. Sie machte deutlich, wie viel unnötige Empörungsenergie durch die Fokussierung auf die „Dissidentin“ und den zugrunde liegenden Leitsatz „Allen muss es gleich schlecht gehen“ verpulvert wurde, und wie wenig kollektive Intelligenz für die Unterstützung einer anderen, tatsächlich notleidenden Teamkollegin dann noch übrig blieb. Diese hatte ihren Notstand zwar einige Male zur Sprache gebracht. Ihre zaghaften Hilferufe waren aber bis dato im kollegialen Shitstorm gegen die „Faulenzerin“ untergegangen.











Fall 3: Als Führungskraft “verbrannt“?
Selbst wo neue Einstellungen und Werte propagiert werden, erweist sich der Grundsatz, „Eine Führungskraft ist man entweder ganz oder gar nicht“, als zäh und langlebig. Das gilt auch für Behörden, die in Bezug auf die Achtung von Arbeitnehmerrechten (Überstundenausgleich, Nichtdiskriminierung, Gleichstellung/Inklusion etc.) extrem sensibilisiert sind. Im vorliegenden Fall war es jedoch gerade das engmaschig geknüpfte Netz an Sozialmaßnahmen, festgehalten im BEM, dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement, das in der Wahrnehmung der Abteilungsleiterin zur größten Karrierebedrohung geworden war. Ungeschickt kommuniziert, hatte sich aus dem Hilfsangebot ein Konflikt mit Mobbing-Vorwurf und entsprechender Frontenbildung (Eskalation bis zur Dezernentin, Einschalten von Anwälten) entwickelt. 
Die Lösungsansätze
waren in diesem Fall einigermaßen komplex. Konflikt- und Mobbingberatung, Mediation nach Fallenlassen des Mobbingvorwurfs, Coaching der Amtsleitung und ein Teamworkshop der betroffenen Abteilung, weil auch dort allen das Wasser längst bis zum Hals stand. Der Konflikt machte aber auch deutlich, wie begrenzt die Ressourcen für eine „sachliche“ Lösung waren.

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