von Bernd Fechler
In unserer Mediationspraxis mehren sich Fälle, in denen „Workload“
bzw. der Umgang mit der zunehmenden Arbeitsverdichtung und den daraus resultierenden
Gesundheitsbelastungen zum Thema wird. Nicht nur in den Medien ist Burnout und die
dramatisch steigenden Zahlen Stress bedingter, seelischer Erkrankungen Dauerthema. Auch die Unternehmen,
Behörden und soziale Einrichtungen haben das Problem als systemrelevant
erkannt. Die Maßnahmen reichen von individueller Stressbewältigung, über Kurse
zu „gesunder Führung“ bis hin zur Einführung eines Betrieblichen
Gesundheitsmanagement (BGM).
All das klingt gut – doch wirken viele Maßnahmen noch wie aufgesetzt.
Auch die Organisationen, in denen wir arbeiteten, „hatten“ bereits ein BGM. Es
gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Geist gesundheitssensibler Angebote und der rauen Wirklichkeit in der
Arbeitswelt.
Was aber tun, wenn trotz eines propagierten BGM dennoch nicht alles
rund läuft? Wenn trotz guten Willens zu einem wertschätzenden Führungsstil die Kraft oder die
Skills nicht ausreichen, um den Widrigkeiten des Betriebsalltags erfolgreich zu trotzen? Und welchen
Part können Mediatoren und mediative OE-Berater übernehmen, um diese Kluft zwischen Programm und
Wirklichkeit zu überbrücken?
Die
Erfahrung zeigt: In solchen Fällen braucht es unabhängige, allparteiliche
Berater und Vermittler, die den
Beteiligten Wege aufzeigen, aus ihren Sackgassen heraus zu kommen. Ähnlich
ihrer Aufgabe, Konflikte
besprechbar zu machen, können Mediatoren die Betroffenen darin unterstützen,
die Probleme,
deren Lösung durch Tabus im Umgang mit Leistungsabfall, Burnout und seelischen Erkrankungen
blockiert werden, besprechbar zu machen.
In der
Regel ist der Anlass für unser Wirken nicht „Burnout“, sondern nach wie vor
„Konflikt“. Das ist völlig in
Ordnung so. Dennoch gibt es einen Bedarf für Burnout-sensible Konfliktberatung,
die bei der Implementierung
eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements gute Dienste leistet. Mit solchen Angeboten
machen wir bei inmedio ermutigende Erfahrungen.
Drei Beispiele aus
unserer Praxis:
Es ist Sommer, zwei leitende
Entwicklungsingenieure eines von seiner fulminanten Auftragslage getriebenen
Autozulieferers haben sich in der Wolle. A ist hochgradig abhängig von der
Zuarbeit von B, rastet immer öfter aus –
gerade auch vor B’s Mannschaft – weil „nichts rechtzeitig beikommt“. Für ihren gemeinsamen Vorgesetzten
wird es immer schwieriger, A wegen seiner cholerischen Anfälle im Unternehmen zu halten. In der
Mediation offenbaren sich bei B Abgründe von Überarbeitung, unendliche Listen unerledigter
To-Dos, die er jedoch stoisch als „normal“ und „ich hab‘s im Griff“ verteidigt. Was A völlig aus der
Fassung bringt, ist B’s Äußerung: „Wer bei mir einen Termin haben möchte, kann gerne im Dezember
wiederkommen.“
Klausur des ReferentInnen-Teams
eines Bildungsträgers, Tagesthema „Umgang mit der Workload“. Eine Kollegin steht wegen ihres
„unsolidarischen Verhaltens“ unter Beschuss. Der Grund: ihr konsequentes Pausenregime und
Festhalten am Zuschnitt ihres Verantwortungsbereichs, was die anderen als „Rosinenpicken“
kritisieren. Die Auseinandersetzung eskaliert. Nachdem sie einen Mobbing-Vorwurf in die Runde
gesetzt hat, verlässt die Kollegin die Klausur und meldet sich für mehrere Wochen krank.
In einer städtischen Behörde
herrscht Notstand. Die Amtsleiterin und ihre Abteilungsleiter bestellen sich eine Burnout- und
Konfliktberatung. Neben der eigenen, extremen Arbeitsbelastung haben sie ein akutes Problem: Eine mit der
Diagnose Burnout aus dem Leitungsteam gefallene Kollegin drängt –
nach halbjähriger
Krankschreibung und ausgedehntem Klinikaufenthalt – wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Man ist sich
einig, dass das noch zu früh sei. Die Kollegin scheint jedoch uneinsichtig. Unterstützt durch eine positive
Stellungnahme der Amtsärztin pocht sie auf Regeleinhaltung und fordert ein „sofortiges Zurück“
an ihren angestammten Wirkungsbereich.
In allen drei Fällen war Mediation das Mittel der Wahl:
Fall 1: „Ich hab‘s im Griff“
Der „gute“ weil stille Kollege
des „bösen“ Cholerikers leugnet seine strukturelle Überforderung – aus Angst, als „Underperformer“
dazustehen. Ein klassischer Fall von Erschöpfungsmanagement. Dieses gelingt ihm so gut, dass die
negativen Folgen seiner Erschöpfung – Aufschieberitis, „leck mich-
Haltung“, Blockierung von
Lösungskommunikation – so lange Nebensache bleiben, wie sein zum Ausrasten neigender Kollege sich
selbst ins schlechte Licht rückt.
Der Lösungsansatz:
In der Mediation ging es darum,
dem Ingenieur einen Weg zu ebnen, seine innere Not ohne Gesichtsverlust
mitzuteilen. Ermutigt durch ein „Burnout-normalisierendes“ Konflikt-Coaching rang
er sich zu einem Bekenntnis seiner Not durch, die auch für seinen Kollegen die
Wende brachte: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr – ihr könnt mich mal!“
Die Schwelle zu einer Erarbeitung praktischer Lösungen (Klärung von
Zuständigkeiten, Informationsfluss, Auszeiten etc.) war überwunden.
Fall 2: „Rosinenpicken“
Wer Stressreduzierung ernst
nimmt, erntet nicht immer Beifall bei seinen Kollegen. Selbst wenn der „Output“ stimmt – wenn
Pausen machen, Schwätzchen halten, Grenzen setzen nicht den Standards der Teamkultur entspricht,
läuft man Gefahr, zur Zielscheibe sublimer und offener Anfeindungen zu werden.
Der Lösungsansatz:
In einer weiteren
Teamklausur arbeiteten wir an den impliziten Grundannahmen und Regeln rund um
das Thema Belastungsgerechtigkeit. Eine grafische Rückmeldung (Abb.) brachte
vielen den Aha-Effekt. Sie machte deutlich, wie viel unnötige Empörungsenergie
durch die Fokussierung auf die „Dissidentin“ und den zugrunde liegenden
Leitsatz „Allen muss es gleich schlecht gehen“ verpulvert wurde, und wie wenig
kollektive Intelligenz für die Unterstützung einer anderen, tatsächlich
notleidenden Teamkollegin dann noch übrig blieb. Diese hatte ihren Notstand
zwar einige Male zur Sprache gebracht. Ihre zaghaften Hilferufe waren aber bis
dato im kollegialen Shitstorm gegen die „Faulenzerin“ untergegangen.
Fall 3: Als Führungskraft “verbrannt“?
Selbst wo neue Einstellungen
und Werte propagiert werden, erweist sich der Grundsatz, „Eine Führungskraft
ist man entweder ganz oder gar nicht“, als zäh und langlebig. Das gilt auch für
Behörden, die in Bezug auf die Achtung von Arbeitnehmerrechten
(Überstundenausgleich, Nichtdiskriminierung, Gleichstellung/Inklusion etc.)
extrem sensibilisiert sind. Im vorliegenden Fall war es jedoch gerade das
engmaschig geknüpfte Netz an Sozialmaßnahmen, festgehalten im BEM, dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement,
das in der Wahrnehmung der Abteilungsleiterin zur größten Karrierebedrohung
geworden war. Ungeschickt kommuniziert, hatte sich aus dem Hilfsangebot ein
Konflikt mit Mobbing-Vorwurf und entsprechender Frontenbildung (Eskalation bis zur Dezernentin, Einschalten
von Anwälten) entwickelt.
Die Lösungsansätze
waren in diesem Fall
einigermaßen komplex. Konflikt- und Mobbingberatung, Mediation nach
Fallenlassen des Mobbingvorwurfs, Coaching der Amtsleitung und ein Teamworkshop
der betroffenen Abteilung, weil auch dort allen das Wasser längst bis zum Hals
stand. Der Konflikt machte aber auch deutlich, wie begrenzt die Ressourcen für eine „sachliche“ Lösung waren.
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